Medienbildung ist wichtig für den gesellschaftlichen Zusammenhalt

Bericht zur Fachtagung „Medienmündigkeit auf der Höhe der Zeit: Anliegen und Auftrag für die Erwachsenenbildung

Die Fachtagung am 4. und 5. Oktober 2021 am Bundesinstitut für Erwachsenenbildung (bifeb) in St. Wolfgang widmete sich den Einflüssen digitaler Medien auf die Gesellschaft und deren Konsequenzen für die Erwachsenenbildung. Die Veranstaltung wurde vom bifeb in Kooperation mit COMMIT organisiert und richtete sich an Expert*innen aus der Erwachsenenbildung, der Wissenschaft und dem Journalismus, um einen interdisziplinären Austausch zu ermöglichen. Die 2-tägige Veranstaltung fand als hybrides Format statt und beinhaltete Impulsreferate der Wissenschafter*innen Inken Heldt (Juniorprofessorin Politische Bildung, TU Kaiserslautern), Roberto Simanowski (Literatur- und Medienwissenschaftler, Professor an der Pontificia Universidad Catolica, Rio de Janeiro), Bernhard Pörksen (Professor für Medienwissenschaft, Eberhard Karls Universität Tübingen), sowie den Vertreter*innen der Erwachsenenbildung Tatjana Baborek (Institutsleiterin WIFI Österreich) und Michael Sturm (Geschäftsführer BFI Österreich). Die Inputs und Positionen wurden am zweiten Tag in Workshops weiter diskutiert. Der folgende Rückblick skizziert die zentralen Aussagen der Vortragenden zur Frage, warum kritische Medienkompetenz wichtig für die Erwachsenenbildung ist.
 

Roberto Simanowski: Medienbildung als Verkehrsunterricht? Für eine zukunftsfähige Medienkompetenz.

Am Beispiel des Schulalltags stellte Simanowski gegenwärtige problematische Entwicklungen und Folgen der Digitalisierung vor, die neue Herausforderungen für zukünftige Bildungsorte ergeben. Beispielweise können auf Social-Media-Plattformen neuerdings Schüler*innen Lehrer*innen bewerten, wodurch die hierarchische Beziehung zwischen den beiden Personengruppen über diese Plattformen ausgehandelt werden. Themen der Digitalisierung müssen daher in zeitgemäße, pädagogische und didaktische Überlegungen miteinbezogen werden. Medienbildung bedeutet in diesem Sinn nicht nur die Vermittlung von „Verkehrsregeln“ (à la Digitalisierungszertifikate/Medienführerscheine) und technischen Fähigkeiten, sondern auch die Reflexion über Medien: In welchem Kontext (ent)steht Mediennutzung/-produktion?

Simanowski plädiert dafür, dass Medienkompetenz ein selbstständiges Schulfach sein sollte, in dem nicht nur Mediennutzungskompetenzen (im Sinne einer street smartness) erworben werden können, sondern auch kritische Medienreflexionskompetenzen. Diese Forderung fasst Simanowski mit der Metapher der verkehrspolizeilichen Medienbildung (Mediennutzungskompetenz) versus der kriminalpolizeilichen Medienbildung (Medienreflexionskompetenz). Kurzum, Medienbildung sollte nicht nur auf die Vermittlung von reinem technischen know how abzielen, sondern Lernende mit einem umfassenden Wissen (Medienreflexion) ausstatten. Dieser umfangreiche Bildungsansatz, der die kritische Auseinandersetzung mit digitalen Medien beinhaltet, bildet für Simanowski eine Voraussetzung für eine zukunftsorientierte Gesellschaft.
 

Bernhard Pörksen: Fakt und Fake. Die neue Macht der Desinformation und die Utopie der redaktionellen Gesellschaft.

Laut Pörksen sind „Fake News“ ein Symptom der digitalen Informationsflut. Dafür nennt er drei Gründe: 

  1. Wir leben in einem Zeitalter der neuen Geschwindigkeit: Durch die schnelle Verbreitung von digitalen Medien geraten traditionelle Medien unter Druck. Damit verschärft diese Entwicklung den Grundkonflikt zwischen Geschwindigkeit und Genauigkeit. Oft werden Informationen vermittelt bevor noch die vermittelten Inhalte auf ihre Richtigkeit überprüft wurden. Gewissenhaftes Fact-Checking nimmt oft schon zu viel Zeit in Anspruch und entfällt.
  2. Beobachtungen über die Mediennutzung in Echtzeit (z.B. Google Analytics) zeigen, was funktioniert und was nicht. Man sieht sofort, ob eine Geschichte gut beim Zielpublikum ankommt. Das heißt, Geschichten werden permanent bewertet. Dieser Prozess trägt wiederum zur Überhitzung des Informationsklimas bei.
  3. Es gibt neue Möglichkeiten der Manipulation: Medieninhalte (seien es Videos, Bilder oder Sprache) können inhaltlich leicht verändert werden. Insofern kann prinzipiell jede*r fremde Nachrichten manipulieren und weiterschicken, ohne dass es von anderen bemerkt wird. Demzufolge müssen Identität und Integrität von Personen „im Netz“ immer in Zweifel gezogen werden, was wiederum bedingt, dass es usern zunehmend schwer fällt Medien zu vertrauen.

Weiters hält Pörksen fest, dass eine der Zukunftsfragen der Medienbildung lautet: Wie kann man gegen Desinformation vorgehen und was soll Medienmündigkeit alles umfassen?

Der Wissenschafter verweist darauf, dass eine kritisch-reflexive Haltung gegenüber den (digitalen) Medien notwendig ist, um das Spannungsverhältnis zwischen schneller Informationsvermittlung und zeitintensiver Reflexion abzubauen. Er entwirft die Utopie einer „redaktionellen Gesellschaft“, in der ein reflektierter Umgang von Menschen mit Medien möglich wäre. Diese medienmündige Gesellschaft fördere ein demokratisches Miteinander. Das Funktionieren einer solchen redaktionellen Gesellschaft, die ein werteorientiertes Publizieren und öffentliches Sprechen beinhaltet setzt guten Journalismus voraus, der sich einer verbindlichen Kommunikationsethik verpflichtet.

Die Umsetzung der redaktionellen Gesellschaft sollte nach Pörksen folgende drei Schritte umfassen:

  1. Etablierung eines Unterrichtsfachs Medienkompetenz, das sowohl Nutzungs- als auch Reflexionskompetenzen vermittelt.
  2. Aufbau eines transparenten und dialogorientierten Journalismus, dessen Produktionsverhältnisse nachvollziehbar sind, in dem differenzierte Perspektiven unter aktiver Einbindung der Leser*innen Platz finden.
  3. Regulierung von Social-Media-Plattformen, in der die Regeln und ethischen Standards Gegenstand öffentlicher Diskussionen sind.
     

Diskussion

Im Anschluss an diese Präsentationen fand eine Diskussion mit den beiden vortragenden Wissenschaftern, sowie den Diskussionsteilnehmer*innen Tatjana Baborek, Michael Sturm und Inken Heldt statt. Die beiden Vertreter*innen der Erwachsenenbildung waren sich einig, dass in ihrem Arbeitsumfeld Medienmündigkeit ein wichtiges Thema ist. Baborek hielt fest, dass es ein wichtiger Auftrag der Erwachsenenbildung sei, zu erklären, wie recherchiert wird bzw. wie Meinungen und Gegenargumente eingeholt werden können. Darüber hinaus erläuterte Sturm, dass es dem BFI in Bezug auf Medienmündigkeit darum gehe, dass die Kurs-Teilnehmer*innen lernen eine kritische Haltung einzunehmen und Sachverhalte zu hinterfragen. Ein guter Ort zur Umsetzung dieser Ziele sind die Freien Radios. Dort erlernt man spielerisch, wie man sich in den medienkritischen Diskurs einbringt. Daher ist es wichtig, dass sie mehr öffentliche Unterstützung erhalten. Denn wenn Medienmündigkeit nicht gefördert wird, ist die Demokratie gefährdet.

Heldt fügte ergänzend hinzu, dass die Medienbildung eine politische Dimension habe, wobei das Politische in der Medienbildung oft nicht sichtbar sei. Aber genau darum gehe es in der Medienbildung: das Nicht-Sichtbare der Digitalisierung sichtbar zu machen. Medien sind nicht nur Werkzeuge, mit denen man etwas machen kann, sondern müssen auch in Ihren Strukturen und Logiken hinterfragt werden. In der Medienbildung geht es darum, die digitale Infrastruktur zu verstehen: Menschen müssen sich in ihr positionieren können, um die Verhältnisse gegebenenfalls ändern zu können, indem sie sich beispielsweise vor Datenmissbrauch schützen. Die Vermittlung von kritischer Medienkompetenz muss dem Anspruch gerecht werden, Wissen, Fähigkeiten und Rahmenbedingungen für ein reflektiertes bzw. selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen.
 

Roberto Simanowski: Inhaltliche Aspekte der Medienreflexionskompetenz.

Simanowski stellte zentrale Schriften der deutsch- und englischsprachigen Mediengeschichte des 20. Und 21. Jahrhunderts vor, deren Autor*innen die Digitalisierung aus unterschiedlichen Perspektiven beleuchten. Mit Blick auf die Gegenwart verweist Simanowski auf die zunehmende Bedeutung von „Stummen Medien“. Das sind unter anderem jene, die über die im Hintergrund agierenden Algorithmen die Macht haben, den ahnungslosen Nutzer*innen Verhaltensweisen aufzudrängen (Stichwort: Werbeeinschaltungen) wie im Fall von Social-Media-Plattformen. Daher sollte über den Entstehungskontext von Medieninhalten und deren Finanzierungen gesellschaftliche Diskussionen geführt werden: Wie entstehen „Filterblasen“, in denen User*innen nur noch Informationen vorfinden, die ihre Haltung bestätigen? Wozu führt die Ausschaltung von Meinungsvielfalt und Diversität und wer profitiert davon? Erlernen kann man die benötigte Streit- und Debattenkultur Simanowski zufolge beispielsweise durch die Auseinandersetzung mit Gedichten, da in der literarischen Sprache Interpretationsspielraum steckt. Die literarische Sprache steht im Gegensatz zu „sachlicher“ Sprache, die versucht Eindeutigkeiten zu vermitteln und Ambiguitäten zu vermeiden. Durch die Stärkung von Ambiguitätstoleranz können hingegen schwarz-weiß Deutungen hinterfragt werden und die Sensibilität für die dazwischen liegenden Farben und Deutungen gestärkt werden.
 

Inken Heldt: Daten, Digitalisierung, Demokratie - Herausforderungen politischer Medienbildung.

Heldt warf einen Blick auf den Digitalen Kompass 2030 der EU der breit angelegt ist und Menschen beim Erwerb von digitalen Kompetenzen unterstützen soll. Sie sollen sich in Folge besser vor Cyberangriffen, Schwindel und Online-Betrug schützen können. Laut dem Digitalen Kompass 2030 besteht der Bedarf nach Online-Produkten, denen wir blind vertrauen können. Insofern zielen die vorgeschlagenen Richtlinien der EU darauf ab, dass Menschen primär technische skills erwerben sollen, um ihre digitalen Kompetenzen zu erweitern. In diesem Ansatz bleiben aber die Hintergrundstrukturen der Medienwelt unhinterfragt. Das heißt, die Herausforderung der Digitalisierung besteht darin, ihre Funktionslogiken und -bedingungen zu verstehen. Medienmündige Bürger*innen müssen in der Lage sein, Einspruch und Widerspruch gegen unkritische Bildungskonzepte und -angebote einlegen zu können, denn „Algorithmen sind anti-emanzipatorisch“.

Heldt hält abschließend fest, dass es in der politischen Medienmündigkeit darum geht, den digitalen Phänomenen widerständig zu begegnen. Jede*r sollte Gefahren erkennen bzw. benennen können und darüber hinaus ins Handeln kommen.
 

Den Diskurs fortsetzen.

Medien formen Gewohnheiten, Erwartungen und Normen in der Gesellschaft. Digitalisierung und Mediatisierung haben damit großen Einfluss auf das Funktionieren unserer Demokratie. Der kulturstiftenden Funktion von Medien muss daher im Bildungskontext besondere Aufmerksamkeit geschenkt werden. Wissen über das Funktionieren von Medien und die kommunikativen Logiken von Social-Media-Plattformen ist heute Voraussetzung für reflektiertes Medienhandeln und dem Umgang mit Phänomenen wie Filterblasen, Echoräumen und der Zunahme von Desinformation. Die Erwachsenenbildung muss sich dieser Herausforderung stellen und geeignete Angebote zur Vermittlung kritischer Medienkompetenz gestalten.

Medienreflexionskompetenz betont hier die Perspektive, dass es nicht nur um Nutzungskompetenz gehen darf, sondern vor allem auch um die Fähigkeit Strukturen und Logiken zu reflektieren, zu bewerten und mündige Entscheidungen im individuellen und sozialen Umgang mit Medien zu treffen. Der Fokus der Erwachsenenbildung in der Auseinandersetzung mit Medien muss sich auf das Bildungsziel mündiger und wachsamer Staatsbürger konzentrieren. Medienbildung ist als Langzeitinvestition in die demokratische Gesellschaft zu betrachten. Neben legitimen, aber oft kurzfristigen wirtschaftlichen Interessen muss es daher vor allem um die gesellschaftliche Auseinandersetzung und die Stärkung der Urteilskraft der Bürger und Bürgerinnen gehen – als Voraussetzung für gesellschaftliche Teilhabe.

Die Auseinandersetzung um kritische Medienkompetenz und Medienreflexionskompetenz setzt daher eine kontinuierliche Auseinandersetzung mit der Mediatisierung vor dem Hintergrund der Digitalisierung voraus. Die Diskussionen der Fachtagung müssen fortgesetzt werden – auch als Angebot an Entscheidungsträger*innen der Erwachsenenbildung sich zur wissenschaftlichen Auseinandersetzung am Laufenden halten und nachhaltig planen zu können, sowie um gut informierte bildungspolitische Entscheidungen im eigenen Kompetenzbereich treffen zu können.

Bericht zur Fachtagung als PDF zum Download.

 

Literaturtipps:

Pörksen, Bernhard (2018): Die große Gereiztheit. Wege aus der kollektiven Erregung. https://www.hanser-literaturverlage.de/buch/die-grosse-gereiztheit/978-3-446-25844-0/

Simanowski, Roberto (2021): Digitale Revolution und Bildung. https://www.socialnet.de/rezensionen/28636.php

Heldt, Inken (2022): Medienbildung im Zeitalter der Digitalisierung. In: Wolfgang Sander und Kerstin Pohl (Hg.): Handbuch politische Bildung. Frankfurt a.M: Wochenschau, S. 374–381.
https://wochenschau-verlag.de/Handbuch-politische-Bildung/41380